Titel: Abendsterns Erbe

Autor: Vilyana
Kategorie: Dramatisches, Nachdenkliches
Rating: ab 12
Anmerkungen: Danke an Valinja fürs Betalesen!
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Disclaimer: Gehört alles Tolkien.

Inhalt: Gedanken von Arwens Tochter über die Wahl ihrer Mutter

Abendsterns Erbe

Noch immer ein grüner Hügel, bewachsen mit vereinzelten Blüten Elanors und Niphredils... Ihr Grab. Von dem Ort geht eine seltsame Ruhe aus, wie ich sie in meiner Heimatstadt nie finden werde, eine Ruhe als trauere er noch immer um sie und hinge seinen Erinnerungen nach. Es spielt keine Rolle, wie lange ich hier verweile, hier ist die Zeit machtlos, kann mich nicht zurückbringen in eine hektische Stadt, wo niemand mich erwartet. Nicht einmal Ithilien kann ich hiermit vergleichen, mag es auch mit Recht das schönste Land östlich des Meeres genannt werden. In meinem Herz ist der letzte Schimmer des Glanzes der Bilder in meiner Erinnerung noch nicht verblasst, der letzte Schlag des Herzens des alten Elbenreiches noch nicht verklungen. Eine Traumblume, neben der die Blüten der blühenden Blumen Ithiliens verblassen, sind sie doch bloß ein Augenblick in der Ewigkeit, zwar das schönste in diesem Teil der Erde, doch kann nichts mir Gewissheit geben, dass es morgen, wenn ich wiederkomme, noch genauso sein wird, oder ob sie nicht schon verblüht sind, verwelkt und verblasst in der Erinnerung. Sie sind vergänglich wie Schlösser am Meeresstrand, an der Küste, wohin die Elben aufbrachen. Sie zogen in die Ewigkeit, fort aus dem Bewusstsein der Menschen, wo der Wind alles fortweht und die Augenblicke vorüber ziehen, vergänglich wie die Mauern, die mich festhalten, noch groß und stark, doch irgendwann werden sie zu Staub zerfallen und vom Wind verweht, nichts als ein leerer Name, mit dem niemand mehr etwas anfangen kann, denn all das wird enden.

Warum nur hat sie sich damals für die Sterblichkeit entschieden? War ihr mein Vater so wichtig, dass sie für ihn ihr Volk verlassen hat und gestorben ist? Für ein einziges Leben an seiner Seite. War es das wert? Kann ein einzelner sterblicher Mann bedeutender sein als ein endloses Leben? Sagt mir nicht, es war aus Liebe. Ich kann und will es nicht glauben, denn ich habe nie jemanden geliebt, zwar hatte ich viele Verehrer, aber ich fand niemanden in meinem Volk, mit dem ich mein Leben verbringen wollte. Zu kurz war die Zeit, jemanden zu finden, mein Herz blieb einsam, und so werde ich unverheiratet sterben. Es war ihre Entscheidung, sie hat auf sich selbst gehört, war nur für ihr Leben verantwortlich, konnte nicht an die Konsequenzen für ihre Kinder denken.
Ich seufze.
Oder hatte sie bloß Angst vor einem Leben in Einsamkeit, wie dem meinen? Wählte sie bloß das Leben an seiner Seite, um die Ewigkeit nicht alleine zu leben? Dennoch hatte sie lange Zeit, sich zu entscheiden, viele Generationen der Menschen hatte sie bereits überlebt. Für mich wird es nie die Aussicht auf ein anderes Leben geben.

Ich sehne mich nach dem Meer, nach dem Westen, doch mit ihrer Zurückweisung hat sie auch mir den Weg verschlossen. Schon lange fühle ich, dass ich nicht in die Welt der Menschen passe, ihre Sorgen und Probleme nicht nachvollziehen kann, und mich nach anderen Dingen sehne, die mir für immer verwehrt bleiben werden. Was interessieren mich Berichte über Taten gondorischer Könige, mit denen ich meine wenige Zeit verschwenden muss, die mir bleibt? Bin ich auch für alle anderen eine Frau aus Gondor, die Schwester des Königs, im Herzen bin ich es nicht, denn dort bin ich eine Elbin, der bloß die Zeit eines einzigen Menschenlebens bleiben soll und der der Westen verschlossen ist. Ich bin nicht so, wie ihr es gerne hättet und will es gar nicht sein! Eure Ruinen sind bloß zerfallene Steine, Denkmäler menschlichen Versagens, keine Ehrfurcht kann ich ihnen entgegenbringen. An der lebenden Erinnerung liegt mir mehr als an kaltem Stein. Riesige, hell erleuchtete Hallen können mir das Sternenlicht über den Wellen des Meeres nicht ersetzen.

Mein glückliches Gesicht an der Seite meiner Familie war nur ein vorgetäuschter Schein, den menschliche Augen nicht durchdringen konnten. Ich lebte bloß in meiner Einsamkeit, nachts unter dem dahinschwindenden Licht der Sterne zwischen den wenigen kleinen Bäumen Minas Tiriths, oder draußen, in den Wäldern Ithiliens, wo ich mich dennoch nicht wohl fühlte. In meiner Jugend fragte ich die Elben Ithiliens nach Geschichten, doch diese schienen meine unerfüllte Sehnsucht nur zu verstärken, und irgendwann wollten oder konnten auch sie mir nichts mehr berichten, und je länger ich dort hin ging und sie traf, desto mystischer und ferner wurden sie mir. Nach dem Tod meiner Eltern ging ich oft fort aus Minas Tirith und kam immer öfter hierher, nach Lórien, verlassen von fast allen seines Volkes, gefürchtet, gemieden und vergessen von den Menschen, scheinbar seines Zaubers beraubt, doch für mich ist er noch immer lebendig. Hier bin ich in meiner Welt, die Zeit und alle Probleme der Menschen spielen dort nie eine Rolle. Nie machte ich mir Gedanken, ob mich in Gondor jemand vermissen würde, ob jemand irgendwo an den Mauern stehen und auf mich warten würde, denn ich wusste, dort war niemand mehr für den ich mich beeilen müsste, niemand außer den Menschen, neben denen ich mein Leben verbringen musste und die mir so fern waren wie das ganze Land.

Nichts rührt sich, kein Blatt an den alten zeitlosen Bäumen, keine Stimme eines Vogels ist zu vernehmen, der Himmel über mir klar wie jedes Mal. Nah, und doch unerreichbar fern... Meine Finger fahren sanft durch das grüne Gras, ich schenke den Blumen neben mir ein letztes Lächeln. Ich weiß es, meine Zeit in diesem Teil der Erde ist vergangen, und das Schicksal verwehrt mir den Weg in den anderen Teil, wo ich hätte leben können, wo ich mich wieder hätte glücklich fühlen können, in einem ewigen Frühling an weit entfernten Küsten, Bilder meiner Träume... Es war Zeit, Abschied zu nehmen, Abschied von der Welt, in der ich ewig hätte zufrieden leben können, hätte sie eine andere Entscheidung getroffen, doch so werde ich auf dem Grab meiner Mutter nur meinen leblosen Körper hier zurücklassen, ein Grab, das auch das meine werden wird. Ich werde ihr folgen und in einer anderen Welt mein Leben weiterführen, einsam und traurig, für immer getrennt von jenen, zu denen ich seit jeher gehören wollte, und hier bloß ein Name in alten Büchern, die niemand liest, solange, bis alle, die mich gekannt haben, mir gefolgt sind und die Welt sich wieder wandelt...

Rot geht die Sonne unter hinter längst verblühten Mellyrn, der Wald wird dunkel, verschwimmt vor meinen Augen, Schwärze umfängt mich. Und dann erblicke ich helle, silberne Strände im Licht einer goldenen Sonne, blaues Wasser vor grünen Wiesen, und jetzt weiß ich, dass ich Gondor endlich für immer verlassen habe, dass ich nie wieder zurückkehren werde in meine bedrückende Einsamkeit, denn mein Schicksal, das ich nie gewollt habe, wird endlich kommen, wenn auch vor meiner Zeit. Und es wird mich endlich befreien, wird mich fortbringen, in eine andere Welt, fort in die Ewigkeit des Todes...

Ende

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