Titel: Die Sehnsucht der Vergessenen

Autor: Vilyana
Kategorie: Dramatisches, Nachdenkliches
Rating: ab 6
Anmerkungen: Danke an Drachenfee fürs Betalesen!
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Disclaimer: Gehört alles Tolkien.

Inhalt: Einige Elben wollen noch einmal zurück nach Mittelerde...

Die Sehnsucht der Vergessenen

Wir wollten zurück. Wollten sie wieder sehen. Noch ein einziges letztes Mal. Wir wollten die Strände Valinors verlassen und zurückkehren in unsere alte Heimat.

Jahrtausende sind vergangen, doch wir haben Mittelerde nicht vergessen. Die langen Jahre des mühelosen Lebens in Valinor konnten die Erinnerung an unser altes Leben nie ganz auslöschen.

Wir wurden gewarnt. Valinor bleibt immer dasselbe, doch Mittelerde hat sich in den Jahrtausenden unserer Abwesenheit stark verändert. Nichts ist geblieben, wie es war. Alles, wohin wir zurückkehren wollten, ist längst vergangen.

Doch wir wollten es nicht glauben. Wir konnten es nicht glauben. Wir wollten zurück, wollten um jeden Preis noch ein letztes Mal zurück nach Mittelerde.

Die alten Wege waren längst verschwunden, hatten sie gesagt. Wir könnten nicht zurück, es würden keine Wege mehr nach Mittelerde führen. Wir wollten uns damit nicht abfinden. Wir wollten die Wege finden. Waren sicher, dass sie noch dort waren, selbst wenn sie vielleicht vor unseren Augen verborgen sein mochten.

Wir brachen auf. Gegen alle Ratschläge, gegen jede Vernunft. Wir waren sicher, dass wir ankommen würden, dass wir die Küsten der alten Länder erreichen würden, die Bilder in unserer Erinnerung.

Wir fuhren weiter, jenseits von Valinor, jenseits von Mittelerde, in Gefilden, die weder Zeit noch Raum kannten. Wir verließen uns auf unsere Erinnerung, auf unser Gefühl, den richtigen Weg zu finden. Wir kannten diese Gegend nicht, zu lange war es her, dass wir hier entlang gefahren waren, und es gab keine Karten, wer hätte sie schon gebraucht.

Der Weg kam uns vor wie eine Ewigkeit, wir begannen an unserem Vorhaben zu zweifeln. Doch schließlich erreichten wir die Küsten, die Strände Mittelerdes. Doch wir fanden nicht die alten Küsten vor, an denen wir vor Jahrtausenden wandelten.

Sie hatten Recht gehabt. Nichts war mehr so wie früher. Wir wollten es nicht glauben, redeten uns erst ein, dass wir uns bloß verirrt hatten und dass wir hier nicht richtig sein konnten, doch tief in unserem Inneren wussten wir alle, dass es so war, dass hier einst unsere Länder gewesen waren, die manche längst vergessen hatten, da sie in Valinor keine Rolle mehr spielten.

Wir verließen unsere Schiffe, gingen am Meer entlang. Wir trafen nur wenige Menschen, doch die, die wir sahen, erkannten uns nicht, sie blickten uns stumm an, erschrocken, verwirrt, wichen zurück von uns. Niemand schien sich noch an uns zu erinnern.

Alles hatte sich verändert. Häuser standen am Meer, Häuser, die uns seltsam erschienen, und in ihnen wohnten Menschen, die uns längst vergessen hatten. Sie hatten unsere Sprachen verlernt, unsere Namen vergessen, wir hatten keinen Platz mehr in ihrem Leben...

Wir verließen sie, gingen zurück zu unseren Schiffen. Wir hatten genug gesehen, wollten zurück nach Valinor. Ja, zurück in die Heimat. Mittelerde war längst nicht mehr unsere Heimat. Die Menschen hatten uns vergessen, die Länder waren längst nicht mehr dieselben, sie waren untergegangen, als ihr Volk sie verlassen hatte.

Wir machten uns auf den Heimweg. Der Weg kam uns noch länger vor als beim ersten Mal, er schien nie zu enden. Wir begannen schon zu befürchten, dass wir Valinor nie wieder sehen würden.

Doch schließlich erreichten wir die Küsten Valinors, sahen endlich wieder die hellen Küsten vor uns, die noch so waren, wie wir sie verlassen hatten.

Einige unserer Familien hatten uns erwartet. Wir wussten nicht, ob sie lange gewartet hatten oder erstaunt waren über unsere frühe Rückkehr. Sie blickten uns fragend an, wollten wissen, was geschehen war. Ob wir Mittelerde erreicht hatten, was noch so war wie damals.

Wir hatten keine guten Nachrichten. Wir waren immer noch bedrückt vom Kummer über das, was wir gesehen hatten.

Denn wir wissen: Unsere Länder sind längst vergangen, die Welt hatte sich gewandelt in all den Jahrtausenden, und wir waren vergessen.

Niemand erinnerte sich mehr an uns.

Niemand lebte mehr in Mittelerde, der unsere Namen kannte, unsere Geschichten gehört hatte, unsere Sprache sprach.

Sie hatten uns vergessen.

Wir waren vergessen, für immer, für alle Zeiten, die noch kommen mochten.

Für immer vergessen.

Ende

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