Titel: Herz einer Kriegerin

Autor: Vilyana
Kategorie: Dramatisches, Nachdenkliches
Rating: ab 12
Anmerkungen: Danke an Valinja fürs Betalesen!
Feedback an: doro@tiski.de
Disclaimer: Gehört alles Tolkien.

Inhalt: Gedanken Éowyns über ihre Entscheidung, mit in den Krieg zu ziehen.

Herz einer Kriegerin

Nicht nur Enttäuschung überkommt mich, nein, es ist vor allem Wut. Wut und Hass auf jenen, den ich glaubte zu lieben. Warum nur ist er so blind?

Ich bin eine Kriegerin, ich will für mein Volk kämpfen. Ich will nicht zu Hause bleiben und auf die Rückkehr der Männer warten, um sie dann zu versorgen, denn ich bin keine Dienerin. Seit meiner Kindheit träume ich davon, in die Schlacht zu reiten, zu siegen und Rohan zu einer besseren Zukunft zu verhelfen. Stunden habe ich mich im Schwertkampf geübt, alleine und unbemerkt in meinem Zimmer, ich vermag es mit den besten meines Volkes aufzunehmen. Und die Klinge ist noch immer scharf...

Seufzend drehe ich mich zum Fenster. Sie sind gegangen.

Der Rest des Hauses schläft noch. Ich fühle mich alleine und verlassen. Warum nur hat er mich zurückgelassen? Weil ich eine Frau bin, weil er mich für zu schwach hält, um zu kämpfen. Er sagte, er könne dies nicht entscheiden, und die Gefahr sei zu groß. Wie bloßer Hohn klingt seine Lüge in meinen Ohren. Er hat Angst. Er will sich vor der Verantwortung ausweichen, die ihm als König zustünde, und zugleich ist er zu feige, mir die Wahrheit zu sagen. Glaubt er denn noch immer, er oder andere können über mich bestimmen?! Ich weiß selbst, was ich will und was ich tue und lasse, ich bin kein kleines Kind mehr. Die Frauen Rohans sind stark. Er ist bloß ein Mann. Was kann er schon bewirken? Nichts. Nichts von Bedeutung.

Die Schatten der Erinnerung überkommen mich, ich denke an meine Mutter... Sie verzehrte sich im Kummer, nachdem mein Vater gefallen war… Sie starb wegen eines Mannes…

Ich reiße mich zusammen. Schon lange habe ich mir geschworen, meine Kraft nicht im Schmerz um einen Mann zu verlieren. Ich werde es nicht. Ich bin stark genug, ihn zu vergessen. Ich brauche ihn nicht. Er ist es nicht wert, spätestens mit seinem jetzigen Verhalten hat er dies bewiesen. Ich trauere ihm nicht nach.

Mit den Erinnerungen an meine Mutter kommen auch ihre letzten Worte in mein Gedächtnis, das letzte, was ich von ihr hörte, das letzte, woran ich mich erinnern kann. In meiner Kindheit habe ich sie nie verstanden, war es doch so anders als all das, was man mir sonst erzählt hat, und so verdrängte ich sie, doch ich vergaß nicht, und mit der Zeit begann ich zu verstehen…

"Verliebe dich nie, Eowyn. Für einen Augenblick bist du glücklich, doch bald schon wirst du erkennen müssen, dass dies nicht lange andauert, und auf die darauffolgende Dunkelheit folgt kein Morgen. Du wirst einsam sein und die Trauer und der Schmerz werden dich überwältigen, bis du daran zugrunde gehst. Sei stark, meine Tochter, unterwirf dich niemandem. Lass dich nicht blenden vom Glanz eines Augenblickes, bereue nicht, wenn du junge Paare mit ihren Kindern siehst, denn dies ist bloß die eine, kleinere Seite. Nimm dein Leben selbst in die Hand und denke immer daran, was ich dir gesagt habe. Liebe keinen Mann. Nie."

Wie wahr waren ihre Worte! Ich vergesse sie nicht. Ich kann alleine leben, ich bin auf niemanden angewiesen. Ich werde ihn vergessen. Ich brauche ihn nicht. Ich bin frei.
In Gedanken durchlebe ich noch einmal die Tage seit seiner Ankunft in Edoras, und keine Träne verlässt meine Augen.

Aber die schlimmen Ereignisse der letzten Tage lassen sich nicht verdrängen. Viel Unheil geschah in dieser Zeit. Zu viel. Viele meines Volkes sind schon gefallen, und viele weitere werden folgen. Das Ende steht bevor. Ich habe aufgehört zu hoffen. Es gibt keine Hoffnung mehr. Ich war gezwungen, meinen Traum, Rohan wieder in bessere Zeiten zu führen, zerplatzen zu sehen. Es werden keine besseren Zeiten kommen, in die ich mein Volk bringen kann. Dunkle Schatten, Tod, sonst nichts. Die grünen Wiesen werden bedeckt sein von der schwarzen Asche Mordors und das Wiehern der Pferde wird im Sturm verklingen, wo heute die Kinder spielen, wird man morgen bloß Orks vorüberziehen sehen.

Doch nicht alles habe ich aufgegeben. Ich bin eine Kriegerin, ich will für Rohan kämpfen, und das werde ich, obwohl es keine Hoffnung mehr gibt und die Schatten unweigerlich kommen. Nicht hier werde ich auf sie warten, ich werde der Dunkelheit entgegenreiten, und in der Verteidigung Rohans meinem düsteren Dasein entsagen.

Er ist mit seinen Männern gegangen. Er hat mich zurückgelassen. Aber noch ist die letzte Schlacht nicht geschlagen, noch ist sie nicht verloren. Eine Kriegerin wollte ich sein, und eine Kriegerin werde ich sein. Er, auf den ich all meine Hoffnung setzte, hat mich verlassen, ich werde ihm nicht nachtrauern.

Der Untergang steht uns allen bevor, so werde ich ihm entgegenreiten. Der Tod ist das einzige, was mir in dieser Welt noch bleibt.

Ich greife nach meinem Schwert. Die kalte Klinge gibt mir ein Gefühl von Sicherheit. Ich werde mich nicht nach einem Mann verzehren, ich werde kämpfen. Bis zum Tod. Dem einzigen, was ich in diesem Kampf suchen werde. Und gewiss werde ich es finden.

Die ersten Strahlen der Morgendämmerung fallen durchs Fenster, glühen in einem Licht, das den Weg davor zum Leuchten bringt. Lange wird es nicht mehr dauern, bis sie kommen werden.
Bis zum Aufbruch in den Tod.
Bis ich kämpfen werde.

Ende

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