Titel: Traumseele

Autor: Lily
Kategorie: Poesie, Dramatisches, Songficlet
Rating: ab 6
Anmerkungen: Songficlet zu "In love with a dream" von Orange Blue.
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Disclaimer: Personen und Orte gehören Tolkien, die Texte gehören Orange Blue, Idee und Ausführung gehören mir.

Inhalt: Gedanken Faramirs an einem blassen Morgen in Minas Tirith.

Traumseele

Ein neuer Morgen.
Die blasse Sonne geht auf hinter den schwarzen Bergen des Ostens, silbernes Licht flutet die Felder des Pelennor. Als wäre die Stadt aus Perlen erbaut, leuchtet Minas Tirith unter den Strahlen. Nebel schmiegt sich in die engen Gassen, Herbstregen flüstert im Wind. Abermals ein Morgen. Hier stehe ich erneut, vor den Hallen meines Vaters. Hinab blicke ich auf diese Welt, die Welt der Menschen. Die Tage ziehen vorüber, doch bemerke ich es kaum. Zu oft schon stand ich hier, zu oft ritt ich hinaus aus den Toren dieser Stadt gen Osten... keinen Wert hat der Aufgang der Sonne für mich, keinen Unterschied machen die Stunden. Die Tage fließen, hinein in den Strom der Unendlichkeit. Lang vergangen und doch unvergessen sind mir die Sommer meiner Kindheit, Zeiten des Glücks in meinen Augen. Lang verblichen die Farben meiner Träume. Die Tage bluten, hinein in die Ewigkeit.

The time is bleeding into eternity
You can't make a long kiss when you don't breathe
And time is against me, but my mind can't leave
And if you refuse to be in touch with me
Oh please, please let me be in love with my dream

Mit jedem Sonnenaufgang spüre ich deine Bürde auf meinen Schultern. Dein zweitgeborener Sohn zu sein, schwach in deinen Augen, unfähig der großen Taten, unwürdig deiner Liebe. Mit jedem Morgen spüre ich die Träume meiner Kindheit, die zu meinen Fesseln werden in dem Wunsch, deinen Blick auf mich zu lenken, gefüllt mit Stolz auf mich. Bilder der Vergangenheit werden zu Banden, die mir das Atmen verwehren. Mein Feind ist mein Blut, mein Gegner der Krieg, dieses Land mein Widersacher - die Zeit selbst scheint gegen mich zu sein.
Doch bin ich nicht stark genug, um mich selbst zu befreien. Was ich auch tue, wo ich auch bin - meine Seele weilt bei dir in meinen Gedanken, untrennbar verbunden mit dir. Noch immer, nach all den Jahren, gibt sie sich den Träumen meiner Kindheit hin. Dem Wunsch, eines fernen Tages Stolz in deinem Blick funkeln zu sehen; doch nicht auf meinem Bruder, sondern auf mir sollen deine Augen ruhen - der Wunschtraum eines Knaben, zerrissen von Vernunft und Zeit.
Eine Stimme in meinem Kopf spricht zu mir, mich endlich zu lösen von deinen Fesseln, nicht länger zu warten auf die Anerkennung, die ich niemals erlangen werde. Ich dränge sie zurück, sperre sie hinter Mauern und Gitter tief in einem Verlies meiner Seele, nur um weiter leben zu können. Deine Aufmerksamkeit und Vaterliebe willst du mir nicht geben - so lass mir doch diesen Traum.

And I dreamt of flowers searching for bees
And sometimes my whiskey was drinking me
I guess that you heard my heartbeat through the crowd
Telling you I'll be there as long as you care
If you doubt, let yourself be in love with my dream

Meine Träume waren leuchtende Blüten im Sommerlicht, glänzende Edelsteine in einer sternklaren Nacht. Du sahest sie schimmern durch meine Augen, sobald ich dich anblickte, hörtest sie pochen durch meine Worte wie einen kräftigen, steten Herzschlag, sobald ich sprach. Zurückdenken in meine Kindheit kann ich, soweit ich will: Immer schon war es mein Bestreben, deinen Stolz zu erringen, deine Aufmerksamkeit abzulenken von meinem Bruder und zu ziehen auf mich, wenn auch nur für einen Moment, für den Flügelschlag eines Schmetterlings. Ein Blick, ein Wort hätten mir genügt für mein Leben, noch heute könnte mich ein Lächeln nähren, hättest du es mir damals geschenkt.
Verachtung war das einzige Geschenk, das ich von dir erhielt. Wenn ich zurückblicke, sehe ich Kälte in deinen Augen, die mich schaudern lässt, höre ich Zorn in deiner Stimme, unter dem ich mich bei dem bloßen Gedanken an ihn ducken möchte. Kaum wage ich es heute noch, unter deine Augen zu treten, denn niemals wird dein starres Gesicht freundlich in meiner Gegenwart, kein Lächeln findet den Weg auf deine Lippen, keine Wärme den Weg in deine Augen.
Doch immer noch weile ich hier, gebeugt unter der Last, die du mir auferlegtest, gebeugt, aber noch ungebrochen. Und hier werde ich bleiben, solange ich es vermag... solltest du daran zweifeln, erinnere dich an meine Träume.

And each dusk the moon is eating the sun
And each dawn I wonder where my dreams have gone
I wish I could be in love with reality

Wenn die Dämmerung heraufzieht über Minas Tirith und der Mond die Sonne verdrängt, wenn das letzte Licht versiegt, wenn es dunkel wird in den Straßen und in meinem Herzen, fange ich auch heute noch an zu träumen. Vor meinen Augen erstehen Bilder, ein Funkeln in deinen Augen, ein Lächeln auf deinem Gesicht, Worte des Lobes in meinen Ohren... ich selbst, lachend vor Glück. Jede Nacht erinnere ich mich daran, warum ich noch hier bin, warum ich es wieder und wieder und wieder versuche... niemals aufgebe, deine Liebe erringen zu wollen oder zumindest keinen Hass auf mich zu ziehen.
Doch die Bilder bleiben vor meinen Augen, in meinem Kopf, ein Teil meiner Seele, können nicht hinaus. Das Wissen darum, dass manche Wünsche niemals wahr werden, hält mich nicht davon ab zu träumen, Nacht für Nacht für Nacht, bis der nächste Morgen dämmert, bis ich wieder hier stehe und mich frage, wohin meine Träume nur verschwunden sind. Gefangen im Dunkel der Nacht, eingesperrt in den Tiefen meiner Seele.
Wie jeden Morgen stehe ich hier, die Stadt leuchtend im Morgenwind, und wünsche mir sie vergessen zu können. Nicht zu überhören ist die Leere in mir, die zurückbleibt, wenn meine Träume schwinden, die um Hilfe schreit, wenn der Tag aufzieht. Doch nichts hallt lauter in mir selbst wider als das leise Weinen, die stummen Tränen dieses einen Traumes meiner lang vergangenen, unvergessenen Kindheit - in der Wirklichkeit zu leben und nicht nur in den Träumen meiner Seele.

I guess that you heard my heartbeat through the crowd
Telling you I'll be there as long as you care
If you doubt, let yourself be in love with my dream
I wish I could be in love with reality

Ende

(c) 2005 by Lily

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