Titel: Bis an das Ende der Zeit

Autor: Vilyana
Kategorie: Freundschaft, Drama, Nachdenkliches
Rating: ab 12
Anmerkungen: Danke an Drachenfee fürs Betalesen!
Feedback an: doro@tiski.de
Disclaimer: Gehört alles Tolkien.

Inhalt: Erinnerungen an eine wundersame Rettung und eine tiefe Freundschaft.

Bis an das Ende der Zeit

Düster schimmert das Licht zwischen den Bäumen, als käme es aus längst vergangenen Zeiten, die Sterne spiegeln sich in der Nacht, gefangen im Glanz der Dimension, nichts, was wirklich zu existieren scheint, bloß ein Trugbild der Gedanken, eine längst vergessene Erinnerung, und doch wirklich, vermeintlich greifbar nah; würde ich aber versuchen, es zu erreichen, es würde verschwinden, vergehen, als wäre es nie da gewesen. Es ist eine jener Nächte, in denen alles wieder lebendig zu werden scheint, was schon so lange vergangen ist, Geschichten, die vergessen sind, Namen, an die sich keiner mehr erinnert, in einer Welt, die sich längst gewandelt hat, wo selbst die letzten Überreste der alten Ruinen längst zu Staub zerfallen sind. Selbst die Zeit scheint stehen zu bleiben, hört gar auf zu existieren, ein leerer Begriff, genau wie alles andere, was wirklich ist. Irgendwo, fern jener Gefilde. Alles um mich herum verschwimmt, die Bäume Lóriens, die Stimmen der Vögel zwischen den Zweigen. Und dann höre ich plötzlich wieder ihre Stimme, fern und tonlos, obwohl ich weiß, dass sie längst gestorben ist. Menschen weilen nicht lange in Mittelerde, und hierher in den Westen kommen sie nie. Ich sehe sie wieder vor mir, die blasse Haut, die langen blonden Haare, die leuchtend grünen Augen. Wo ist sie jetzt? Jahrtausende sind vergangen, seit ich sie zuletzt gesehen habe, sie hat Mittelerde längst verlassen. Zwar habe auch ich dies längst getan, aber auf andere Weise, denn Valinor ist schon seit Langem entrückt. Was will sie nun von mir? Ich erinnere mich wieder an unsere letzte Begegnung. Ich hatte versprochen, sie nie zu vergessen. Nie, bis die Welt vergehen würde. Was hatte ich damals schon von der Ewigkeit gewusst? Hatte ich damals noch geglaubt, es zu wissen, so weiß ich nun, dass ich mich geirrt habe. Elben vergessen nichts so schnell, nicht nach Hunderten von Jahren, selbst jetzt kann ich mich noch an alles erinnern. Ich kann... Aber tue ich es auch? Zwischen all den Erinnerungen? Wann? Nur bei meinen Besuchen hier in den Gärten Lóriens...

Einer der Sklaven Morgoths war ich gewesen, wie viele andere auch. Tagein, tagaus hatte ich nichts als die Dunkelheit der Minen gesehen. Wenn es in diesen Zeiten überhaupt Tage gegeben hatte. Keinen Sinn mehr hatte ich in meinem Leben gesehen, immer die gleiche Qual, dieselben eintönigen Arbeiten. Die engen Räume waren erfüllt gewesen vom Lärm und Gestank der Orks, ich will lieber nicht wissen, wie ich selbst zu dieser Zeit ausgesehen habe. Es hatte bloß das Warten gegeben, das Warten auf die Erlösung Mandos, und einige wenige hatten noch den Schimmer eines Funkens Hoffnung auf Rettung. Ich hatte nicht mehr daran geglaubt. Zu lange schon war ich in den Minen. Ich konnte nicht einmal sagen, wie lange es war, als du gekommen bist. Ich war erschöpft und ausgelaugt, wie immer, und dann standest du plötzlich vor mir. Ich habe dich nicht einmal kommen gehört. Dein Äußeres deutete auf einen langen und harten Marsch hin, trotzdem strahltest du in diesem Moment wie ein Licht in der Dunkelheit. Die Entschlossenheit, die aus deinem Blick sprach, erschreckte mich fast. Du schienst nicht einmal in Frage zu stellen, dass du dein Ziel erreichen würdest.
"Ich will von hier fliehen und brauche eure Hilfe. Ich komme aus den Wäldern und kenne mich hier nicht aus, außerdem wäre es mir lieber, nicht alleine zu reisen."
Du brachtest mich unweigerlich zum Lachen. Noch nie hatte irgendjemand von uns solche Worte ausgesprochen. Ich hielt dich für verrückt, konnte mir nicht vorstellen, dass eine Flucht möglich war. Vergib mir, ich konnte dich damals wirklich nicht verstehen.
"Fliehen? Junge Frau, versucht es, doch macht Euch keine falschen Hoffnungen. Diese Festen sind zu stark bewacht, als dass wir fliehen könnten, sonst hätten wir es längst getan. Es ist schon ein Wunder, dass die Orks Euch nicht schon gefunden haben, fordert Euer Schicksal nicht noch mehr heraus. Geht, geht zurück, und hofft dort weiter auf Rettung, solange Ihr noch hoffen könnt."
Doch du sprachst unbeirrt weiter, ohne meine Worte zu beachten. "Ihr wollt aufgeben? Einfach so? Ohne es wenigstens versucht zu haben?"
"Wenn wir scheitern, droht uns der Tod. - Es gibt keine Rettung aus diesen Mauern, jedenfalls nicht durch unsere Kraft."
Du seufztest. "Viele Geschichten habe ich in meiner Kindheit über die Tapferkeit der Elben gehört. Immer hielt ich sie für wahr, doch jetzt muss ich also erfahren, dass sie nichts waren als erfundene Geschichten für kleine Kinder, die Langeweile haben. Oder waren dies die einzigen tapferen Elben? Seid ihr alle so schwach?!"
"So versteht doch endlich! Wir kennen keinen Fluchtweg, sonst wären wir schließlich nicht mehr hier. Fragt uns nicht danach!"
Du hast bloß kühl gelächelt, und deine Antwort ließ mich erschaudern. Das war das letzte, womit ich gerechnet hätte. "Dass Männer oft nicht zuhören, ist mir bekannt, nun sehe ich, dass es bei Elben auch nicht anders ist. Ich bin nicht gekommen, um nach einem Fluchtweg zu fragen, den habe ich längst gefunden. Ich suche bloß Begleitung auf einem weiten Weg zurück zu den letzten Überlebenden meines Volkes. Außerdem würde ich gerne aufbrechen, bevor mein Verschwinden bemerkt wird. Muss ich nun alleine gehen, oder will mich jemand begleiten?"
"Ihr wollt einen Weg hier heraus gefunden haben?! Sucht Euch jemand anderen für Eure Scherze, junge Frau, es gibt keinen Weg."
"Dann werde ich eben doch alleine fliehen. So bleibt hier und wartet in Eurer Feigheit und Ungläubigkeit auf den Tod! Lebt wohl! Aber wehe, jemand verrät mich!" Genervt verdrehtest du die Augen und machtest Anstalten zu gehen.
Noch immer vermag ich nicht zu sagen, was mich damals zu meiner Entscheidung gebracht hat, doch heute weiß ich, dass es die richtige war, obwohl ich sie am Anfang oft bereut habe. "Ihr meint es also noch immer ernst? So zeigt mir den Weg nach draußen, und ich werde Euch helfen, zurück in Eure Heimat zu finden!"

Noch heute sehe ich dein Gesicht vor mir, wenn ich mich daran erinnere, sehe das freudige, erleichterte Blitzen in deinen Augen, die, solange ich dich gekannt habe, nie am Erfolg dieser gefährlichen Flucht gezweifelt haben. Du warst dir deiner Sache sicher, und auf deine eigene Art und Weise gabst du mir in diesem Augenblick Mut, stärker als mein eigener Zweifel und der meiner Gefährten, die dir nicht gefolgt sind. Gerne hätte ich ihnen erzählt, von dir und unserer Flucht, doch keinen von ihnen habe ich wiedergesehen seit jenem Augenblick, und je länger ich warte, desto sicherer bin ich mir, dass ich sie erst nach dem Ende dieser Welt wiedersehen werde, und mehr und mehr erfüllt mich der Gedanke an unseren letzten Abschied mit Wehmut...
Es war keine einfache Reise gewesen, ich weiß nicht, wie wir es überhaupt schaffen konnten. Zwar hatte ich das eine oder andere Mal Gerüchte gehört von Elben, die geflohen waren, doch konnte ich vorher nie ganz glauben, dass sie wirklich ihre Heimat erreicht haben sollten, und alleine hätte auch ich es nie geschafft. Du erstauntest mich immer wieder, seit du gekommen warst.

Sicheren Schrittes gingst du vor, als wärst du diesen Weg schon oft gegangen. Du hattest es eilig, aber dennoch waren deine Schritte nicht lauter als die meinen, war ich auch einer des elbischen Volkes und du nur ein Mensch. Ich weiß nicht, wie lange wir gingen, all mein Zeitgefühl hatte ich verloren, doch schließlich waren wir draußen.
"Hier sind wir."
Ich sah mich um. Ja, wir waren wieder frei. Wir waren entkommen. Endlich. Nach all der Zeit... Der Himmel war dunkel. Ich wusste nicht, ob es bloß die Nacht war, oder ob die Tage nun dunkel geworden waren unter Morgoths Herrschaft. Aber jetzt spielte es keine Rolle. Ich war frei! Über meine Freude vergaß ich ganz, dass wir noch lange nicht am Ziel waren, erst deine Stimme rief mich zurück in die Wirklichkeit.
"Willst du warten, bis die Orks unser Verschwinden bemerkt haben und uns hier finden? Los, wir müssen weiter!"
Ich nickte nur stumm und folgte dir. Wir gingen Richtung Süden, möglichst schnell fort von den Bergwerken und Angband, mieden die offenen Ebenen. Wir waren lange gewandert, als wir endlich anhielten, im Schutz einiger Felsen abseits der Wege der Orks. Ich weiß nicht, wie ich die lange Strecke durchgestanden habe, und erst jetzt wurde mir wieder bewusst, wie erschöpft ich eigentlich war. Du hattest sogar etwas zu essen dabei - ob von deinem Volk gerettet oder von den Orks gestohlen, wollte ich besser nicht fragen - und ich sorgte mich nicht um unsere Flucht, ich war viel zu müde, um mir Sorgen zu machen, verließ mich auf dich...Du stelltest dich als Haleth vor und erzähltest kurz von den Wäldern deiner Heimat.
Da du die erste Nachtwache übernahmst, schlief ich bald darauf ein, das erste Mal nach langer Zeit wieder ruhig und friedlich...
Die nächsten Tage verliefen glücklicherweise ohne Probleme, wir hielten uns weiter nach Süden, die Richtung unserer Heimat. Kontakt mit Orks hatten wir keinen, manchmal kamen wir in die Nähe eines Trupps, doch da wir soweit es uns möglich war abseits der Wege gingen, konnten wir uns jedes Mal früh genug verstecken. Wir kamen ins Gespräch, du erzähltest mir von deinem Volk in den Wäldern, und fragtest mich nach Geschichten der Elben und über meine Heimat, Nargothrond.

Ich setze mich auf die Wiese unter den Bäumen, starre sie stumm an... Wo bist du jetzt? Noch heute kann ich mich an unsere beschwerliche Flucht erinnern, eine scheinbar nie enden wollende Reise, jeden Tag dieselbe trostlose Landschaft, bis wir schließlich an die Grenzen Doriaths kamen. Eine Weile hielten wir uns bei den Wächtern auf, doch schon bald darauf sollten sich unsere Wege trennen, du wolltest weiter nach Süden und ich würde nach Westen aufbrechen, nach Nargothrond. Was geschah danach mit dir? Es war das letzte Mal, dass ich dich gesehen habe. Hast du deinen Ort gefunden? Daran zweifle ich nicht, du konntest Morgoth entfliehen, dann wirst du auch von den Grenzen Doriaths aus deine Heimat wieder gefunden haben. Aber war dort noch jemand am Leben? Deine Freunde? Familie? Ich hätte nie gewollt, dass du den Rest deines Lebens unglücklich gewesen bist. Hast du später Kinder gehabt? Wie alt bist du geworden? Zwar habe ich nie etwas anderes als tiefe Freundschaft für dich empfunden, doch meine Ungewissheit lässt mir keine Ruhe, jedes Mal, wenn ich an dich denke...
Das letzte Mal, dass ich dich sah...

Wir saßen im Wald unter den Bäumen, in der Abenddämmerung... Die Blätter fielen , und du sagtest, es betrübe dich immer, sie fallen zu sehen, der Wald sehe ohne sie so leblos aus, tot. Gerne sähest du die Wälder Valinors, wo die Blumen niemals welken, die Blätter nicht fallen, ein Paradies ewigen Frühlings, ungestörte Harmonie.

Ich sehe zu, wie die Blätter im Wind wehen, das Spiel aus Licht und Schatten im Gras... Nie hätte ich mir damals vorstellen können, einmal hier zu sitzen und mir zu wünschen, die Blätter noch einmal fallen zu sehen. Unbewusst wandert meine Hand zu einem der niederen Äste...
Sanft gleitet das Blatt zu Boden, leicht, eine Feder auf den Wellen des Windes, und landet elegant vor meinen Füßen. Doch auch die Blätter vermögen es nicht, dich zurückzubringen oder mir meine Fragen zu beantworten...
Ich versprach, dich nie zu vergessen... Ja, ich werde dich nie vergessen, auch wenn du nun kaum noch eine Rolle in meinem Leben spielst, ich vergesse dich nie, eine unsterbliche Erinnerung, wenn sie auch nur selten erwacht, hier in Lórien...

Ende

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