Titel: Feuerkind

Autor: istawen
Kategorie: Fantasy
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Feuerkind

Rot schlängelte sich der Strom des Iraah durch die Ebene. Seit der großen Dürre vor nunmehr zehn Jahren hatte sich das einst lebensspendende Nass in fließendes Gift verwandelt.
Iraah bedeutet Fluss des Himmels, so blau war einst das Wasser gewesen, ein Stück Himmel auf Erden.
Doch alles hatte sich gewandelt. Aus dem Land Al-Shoa, dem Blühenden, war Luk-Nin, das Brennende, geworden.
Die Erde verglühte, doch die Sonne trug keine Schuld daran. Was die verdorrten Stämme des Waldes in Flammen aufgehen ließ war das Wasser des Iraah, dessen Name nur mehr schmerzhafte Erinnerung an vergangene Tage war.
So hatte sich auch die Landschaft gewandelt. Die saftigen, dicht bewaldeten Hügel hatten ihr Bild in schwarz verkohlte Finger verändert, die anklagend zum Himmel deuten.
Die Götter hatten sich abgewandt von Luk-Nin; waren blind geworden für seine Qualen. Doch die Menschen waren geblieben; hatten sehnsüchtig darauf gewartet, dass sich Taruna, die große Muttergöttin, ihrer Seelen und Körper erbarmen würde.
Nichts geschah und aus dem gottesfürchtigen Volk Al-Shoas waren nach vielen Jahren ohne Glück die Krieger Luk-Nins geworden.
Sie hatten sich gewandelt, innerlich und äußerlich.
Ihre Haut war übersät von den blauschimmernden Narben des Feuers.
Die Krieger wussten um die Nähe des Totengotts, was ihre Gesichter hart machte. Nichts erinnerte mehr an die Züge die einst dort gewesen waren. Die runden Formen waren eingefallen und der Funke der Freude in ihren Augen erloschen.
Die Krieger Luk-Nins galten als Unglücksboten aus einem verdammten Land.
Aus den fruchtbaren Gestaden weit jenseits des Iraah waren sie vertrieben worden, nur noch um zu rauben kehrten sie dorthin zurück:
Die plündernden Krieger des Luk-Nin, die Kan-je.

Sie saß oben auf den hügeligen Rücken der Ebene, in der Nähe des Waldes was nicht ungefährlich war. Ohne jede Vorwarnung konnte einer der Bäume Feuer fangen, selbst wenn er nur noch ein verkohlter Finger war.
Oft stürzten brennende Holzstücke herab und trafen Angehörige der Kan-je, kennzeichneten sie mit einer blauen Narbe. Inzwischen wurde an den bläulichen Malen der Mut eines Kriegers gemessen. Wie oft traute er sich in die todbringenden Wälder? Mekda besaß genug von ihnen, doch nicht weil sie voller Tapferkeit war, sondern weil sie die Einsamkeit suchte, die Stille, die lediglich vom knacken des Holzes unterbrochen wurde.
Ihre Hand fuhr liebevoll über den stark gewölbten Bauch.
Mekdas erstes Kind. Wollte sie ihm wirklich dieses Leben zumuten?
Sie selbst hatte dem Wandel ihres Volkes beigewohnt, hatte gesehen wie sich der Gram in die Gesichter der Menschen grub, wie auch ihre Züge durch tiefe Furchen gekennzeichnet waren.
Die Kinder der Kan-je kamen auf die Welt als die Töchter und Söhne des Landes Al-Shoa, ihre Körper waren rein und der Funke in ihren Augen glomm noch.
Erst nach und nach wandelten sie sich, Luk-Nin machte sich in ihren Herzen breit.
Die Zeit Mekdas Niederkunft war nah, das Kind würde ein Kan-je werden.
Aber wollte sie das?
Mekda wünschte ihrem Kind ein anderes Leben als jenes das sie führte.
Sie griff zu dem metallenen Anhänger um ihren Hals, der einen Vogel darstellte. Ein Erbstück ihrer Mutter, diese flehte Mekda um Kraft an die richtige Entscheidung zu treffen.
Nach Minuten des Verharrens stand sie auf und lächelte:
Sie hatte ihren Entschluss gefasst!

Es war früher Morgen und die Strahlen der noch jungen Sonne tasteten sich über die Welt, als die Tore der Stadt Ho-Min, Licht der Hoffnung, sich öffneten und eine der Wachen hinauseilte. Auf dem gepflasterten Weg lag ein in Decken gewickelter Säugling. Den einzigen Gegenstand den man bei ihm fand war ein Vogelanhänger aus Metall, auf dessen Rückseite etwas eingraviert war:
"Die Zukunft gehört dir, Feuerkind."

"Konzentrier dich, Feuerkind!", wisperte eine leise Stimme aus der Dunkelheit.
Am liebsten hätte er sie angefahren, sie solle den Mund halten oder sie würden ewig in schwarzer Finsternis verweilen müssen.
Kleine Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn als er sich wieder auf die Fackel konzentrierte die er in seiner Hand hielt. Er sah sie nicht, was sein Vorhaben erschwerte. Luk´s Gesicht war angespannt, seine Züge wirkten noch härter als sonst.
In seinem Geist formte sich langsam das Bild des Gegenstandes in seiner Rechten. Plötzlich spürte er die Hitze; sie kam tief aus seinem Innersten und ergriff Besitz von ihm, sprang auf den alkoholgetränkten Fackelkopf über.
Der Schmerz kam unerwartet und er hatte Mühe einen Schrei zu unterdrücken. Mit zusammengebissenen Zähnen betrachtete er seine verbrannte Haut.
" Toll gemacht, Feuerkind. Eine weitere Narbe in deiner Sammlung! Inzwischen solltest du deine Kräfte wirklich besser beherrschen.", zischte ihm Samra ins Ohr.
Als sich Luk zu ihr umdrehte sah er die Belustigung in ihren Augen. Sie nannte ihn Feuerkind, wie fast alle im Waisenheim, obwohl sie seinen richtigen Namen wusste. Beide kannten sich schon lange, waren eng befreundet. Die meisten der Kinder kamen irgendwann in einer der vielen Familien Ho-Min´s unter, doch sie blieben hier.
Samra war erst vor sieben Jahren ins Waisenheim gekommen, ihre eigenen Eltern hatten sie der Heimleiterin, Schwester Lishe, übergeben. Warum wusste niemand.
Eine zerschmetterte Seele blickte damals durch Samra´s Augen, doch außer Luk schien sie keiner zu sehen, die Seele die um ein "Warum" schrie.
Doch Samra sorgte dafür, dass niemand mehr die Augen vor ihrem Leid verschließen konnte.
Er hatte ihre nackten Füße auf dem Boden tappen hören als sie sich in die Küche stahl, lag im Bett, als sie eins der Messer in ihre zarten Hände nahm. Sein Geist glitt in den Schlaf, als sie sich mit ruhigen Händen das Gesicht zerschnitt.
Luk kannte jede Narbe in ihrem Gesicht, denn aus der anfänglichen Bewunderung für ihren Mut, war bald Freundschaft entstanden.
Als ihre Wunden, zumindest die äußeren, verheilt waren, hatte sie ihn dazu überredet, seine Gabe zu schulen. Im Geheimen, hinter verschlossenen Türen.
Zwar war Magie in Ho-Min nicht verboten, aber die Menschen fürchteten das Feuer, nicht zuletzt weil sie wussten was die Flammen mit den Bewohnern Al-Shoa´s gemacht hatten. Dass er auch noch wie einer aus ihrem Volk aussah machte die Dinge nicht gerade einfacher.
Und so übte Luk im Verborgenen, fast täglich, zusammen mit Samra, obwohl diese die Gabe nicht besaß.

"Was ist?" Ihre Augen blickten ihn fragend an.
"Hast du es je bereut?"
Ihre Hände streichen über das vernarbte Gesicht, ihr Blick verliert sich in der Ferne. "Ich würde lügen wenn ich nein sagte. Dadurch habe ich mir jede Chance genommen jemals wieder von meiner Familie, oder einer anderen. aufgenommen zu werden. Ich habe mich für die Einsamkeit entschieden ohne es zu wissen."
Eine Träne rann ihr über die Wange, ein kleiner Kristall der Traurigkeit. Luk beugte sich zu ihr, küsste die Trauer hinfort.
In seinem Kopf tobte ein Sturm voller Worte; `Ich lasse dich nie allein!`, `Ich bin deine Familie, du wirst nie wieder einsam sein.`
"Ich liebe dich:", war das Einzige, das er aussprach und in ihren Augen sah er, dass sie verstand.

Das goldene Licht des Morgens fiel auf ihr Gesicht, kitzelte sie mit den hellen Strahlen wach.
Als sie aufwachte sah sie Luk am Fenster stehen, seine Hände gegen die Wand gestützt, das dichte, schwarze Haar lose bis zu den kräftigen Schultern fallend.
Luk´s Körper war sehnig, seine Wangen eingefallen; All das gab ihm das Aussehen eines Kan-je, wären da nicht seine Augen gewesen: blau und klar wie ein Gebirgsbach, voller Leben.
Samra konnte sich in diesem Blick verlieren, alle Sorgen und Ängste hinter sich lassen. Lautlos glitt sie aus dem Bett, überquerte leichtfüßig die wenigen Meter die sie von Luk trennten. Sie schlang ihre schlanken Arme um seinen Körper, legte den Kopf auf seinen Rücken, hörte seinen Atem, tief und kräftig.
Er war ihr Zuhause, bei ihm war sie sicher.
"Alles zwischen uns kommt mir so zart vor, so zerbrechlich.
Ich habe Angst, dass es zerstört wird noch bevor es zu etwas starkem herangereift ist. Du bedeutest mir mehr als jede andere Person auf dieser Welt."
Samra hoffte Luk möge ihr Herz nicht spüren, es schlug so fest, hämmerte in ihrer Brust. Sie fürchtete er könnte nichts erwidern, doch noch mehr sorgte sie sich vor dem was er sagen könnte.
Sanft nahm er ihre Hand und drehte sich um, sah sie an, mit einem Ausdruck in den Augen den sie nicht zu deuten vermochte.
"Was ich für dich empfinde vermag keine Macht der Welt zu zerstören.
Verlass dich auf mich, ich lasse dich nie allein, das verspreche ich!"
Luks Hände wanderten zu der Kette um seinen Hals, nahmen sie ab und legten sie ruhig Samra um.
Der Anhänger war warm von Luk´s Körper, nie in all den Jahren die sie ihn kannte, hatte er ihn abgenommen. Es war das einzige, das er von seinen Eltern mit auf den Lebensweg bekommen hatte. Ein Stück Heimat, unersetzlich.
Samra war sich des Werts des Gegenstandes bewusst, der schwer auf ihrer Brust lag. Der Vogel, Symbol für die Freiheit. Eine Freiheit die sie hier im Waisenheim nie haben würden.
"Luk?" Wie schnell sie den Namen Feuerkind für ihn abgelegt hatte! Samra war die einzige, abgesehen von der Heimleiterin, wenn sie ihn zurechtwies, die ihn bei seinem richtigen Namen nannte, wenn auch erst seit einigen Tagen. Für sie schaffte allein dieses Wort, dieser Name, mehr Vertrauen als es Stunden voller Gespräche vermocht hätten. "Lass uns fortgehen von hier, die Vergangenheit hinter uns lassen."
Sie sah ihn an, voller Spannung; wollte keine seiner Reaktionen missen.
Er nickte. Mehr brauchte es nicht, Worte waren zwischen ihnen nicht von Nöten um sich zu verständigen.
Ein Blick in die Augen des Anderen genügten und man wusste alles. Es gab keine Missverständnisse, keine Sackgassen oder verschlossene Türen, sie hatten sich einander geöffnet und alle Hindernisse aus dem Weg geräumt.
Luk zog sie an sich, gemeinsam blickten sie aus dem offenen Fenster. Die Stadt lag unter ihnen, gefärbt vom Gold der Morgensonne.
"Auf eine neue Zukunft jenseits deiner Mauern, Ho-min.", wisperte er.
Der Wind trug die Worte weiter, hinaus aus der Stadt, zu den offenen Ohren die gebannt den Geschichten des Windes lauschen.

"Denkst du an ihn? Dein Sohn ist verloren für dich - wie für uns alle. Er ist einer der unseren, in seinen Adern lodert das Feuer; und als solcher hätte er nicht fortgegeben werden dürfen!"
Die raue Stimme durchschnitt die Stille, riss Mekda aus ihren Gedanken.
Sie ersparte sich die Antwort, jeder wusste, dass sie täglich dem Wind lauschte und auf Nachricht von ihrem Kind wartete.
Niemand hatte ihre Entscheidung je verstanden, sie missbilligten sie sogar. Doch auch wenn alle meinten die Kan-je hätten einen Anspruch auf ihr Kind, sie war anderer Meinung! In all den stunden die man sie regelrecht verhört hatte wo sie ihren Sohn ausgesetzt hatte, waren ihre Lippen verschlossen geblieben und das Feuerkind konnte nicht zum Stamm zurückgeführt werden.
"Er hätte bei uns aufwachsen sollen! Wenn er die Gabe des Feuers hat wäre er durch unsere Erziehung einer der stärksten Krieger geworden, hätte zum Überleben der Kan-je beigetragen. Es gibt zu wenige von uns und stetig verringert sich unsere Zahl. Luk-Nin hört nicht auf zu brennen, das Volk verdurstet, doch die Götter sind nicht gewillt uns zu helfen, tilgen das Gift nicht aus den Wassern des Iraah. Wir müssen alle für deinen Fehler bezahlen! Kein Kind darf von seiner Mutter getrennt werden!"
Bei diesen vorwurfsvollen Worten drehte sich Mekda zu dem Sprecher um. ES war einer der Alten aus ihrem Dorf, der noch immer auf die Erlösung durch die Götter wartete. Jedes Vergehen, und sei es noch so klein, das einer der Kan-je beging wurde von ihm als Grund dafür erachtet, dass die Feuer noch immer brannten. Doch die Jüngeren hatten ihren Glauben in die Götter längst verloren, denn in den 27 Jahren des Brennens war alles was sie sich je zu Schulden kommen hatten lassen dreifach gesühnt worden. Kein Gott dieser Welt hätte nichts gegen dieses Leiden getan, was dazu geführt hatte, dass die meisten der Meinung waren es gäbe keinen Gott.
"Jeder ist selbst für sein Glück oder Unglück verantwortlich!
Entweder gibt es keine Götter oder aber ich will nicht an sie glauben! Denn ich verehre niemanden dem es zu gefallen scheint Menschen zu quälen, sie bei lebendigem Leib verbrennen zu lassen. Unser Leben hier ist die Hölle und du erwartest von mir ich hätte das meinem Kind antun sollen?" Sie spuckte ihm voll Ekel ins Gesicht "Verschwinde! Verbreite deine Lügen woanders ich will sie nicht hören!"
In Mekda´s Augen stand der Hass geschrieben, kalt und roh.

Als der Alte gegangen war, ließ sie sich erschöpft auf einem großen Stein nieder. Der ständige Mangel an Wasser und Essen machte ihr zu schaffen, ihre Kräfte verbrauchten sich schnell.
Seit dem letzten Beutezug in die fruchtbaren Dörfer jenseits Luk-Nin´s waren schon wieder einige Wochen vergangen. Das erbeutete Gut war trotz sparsamen Verbrauchs schon wieder am Ende.
Bald würden die Kan-je wieder ausziehen um ihr Überleben erneut für einige Wochen zu sichern.
Männer, Frauen, sogar Kinder, jeder der sich auf den rücken der ausgemergelten Pferde halten konnte und mit einer Waffe umzugehen vermochte wurde auf die Raubzüge mitgenommen.
Auch Mekda würde mitreiten, in der Hoffnung ihr Kind wieder zu sehen.
Er hatte den Schutz Ho-min´s verlassen, wusste sie.
Die Heimat rief ihn in den Süden, zu den Dörfern in der Nähe Luk-Nin´s.
Der Wind hatte es ihr erzählt. Als er diesen Morgen die Kühle des Nordens in das Tal des Iraah brachte, schenkte er Mekda noch etwas anderes; Nachricht von ihrem Sohn, dem Feuerkind.

Als Mekda zu ihrem Dorf hinunterstieg war sie voller Vorfreude. Zum ersten Mal freute sie sich auf den Beutezug.
"Mein Sohn, bald werden wir uns Wiedersehen!", gab sie dem Wind mit auf seinen Weg , als er drehte.

"Kan-je!", erhob sich ein Raunen aus der Menge, das Wort schwoll an, war plötzlich in jedem Mund. Unter all den vielen Gerüchen des fremden Dorfes war einer besonders beißend und stark: Angst.
Sobald sie das Dorf betreten hatten, griff sie um sich, brachte die Menschen dazu Dinge zu sagen und zu tun die Luk nie für möglich gehalten hätte.
Wenn er geglaubt hatte Samra´s vernarbtes Gesicht würde ihnen bei einem Neuanfang die meisten Probleme bereiten, wurde er nun eines besseren belehrt. Samra wurde kaum ein flüchtiger Blick zuteil, doch auf ihm hafteten die Augen aller. Es würde kein Leichtes sein, die Bewohner des Dorfes davon zu überzeugen, dass er keiner der gefürchteten Plünderer war die hier regelmäßig einfielen. Barbaren des Südlandes, unerbitterlich und grausam.
In Ho-min waren die Geschichten über die Kan-je kaum mehr als Legenden, doch hier waren sie kalte Realität.
Sein Aussehen war Luk unangenehm, er wünschte sich ein weniger markantes Gesicht, das nicht weiter auffiel.
Er fühlte sich gebrandmarkt, anders als die anderen, ausgeschlossen. So musste sich Samra jeden Tag fühlen; sie würde ein Leben lang für eine Nacht bezahlen.
`Wenigstens hat sie sich dieses Schicksal selbst erwählt. Was kannst du für dein Aussehen oder deine Gabe?´, flüsterte eine kleine Stimme in seinem Kopf, die sich nicht zum Schweigen bringen ließ.
Je weiter sie in den Süden vorgestoßen waren, desto öfter kamen ihm solche Gedanken, begleitet von einer unbändigen Sehnsucht zu wissen, woher er kam, warum er fortgegeben worden war.
Luk wollte verstehen, doch wie sollte er? Nie hatte er seine Eltern kennen gelernt, wusste nicht woher er kam. Er fühlte sich wurzellos, wie ein Samen im Wind.
Plötzlich erhob sich ein Flüstern, angsterfüllt. "Sie kommen!"
Die Blicke wandten sich von den Neuankömmlingen ab, hinaus in die Ebene.
Luk kniff seine Augen zusammen und suchte den Horizont ab.
Schwarz und verkohlt hob sich die Grenze zu Luk-Nin von dem Grün der Felder ab, ein dunkles Mahnmahl.
Der Anblick jagte ihm einen Schauer über den Rücken.
Er fürchtete dieses Land, welches ihn mit einer dunklen Stimme zu rufen schien, die er nicht aus seinem Geist auszusperren vermochte.
Doch das war es nicht was die Menschen erstarren ließ; eine Staubwolke hob sich von den schwarzen Hügeln ab und der Boden unter ihren Füßen begann zu vibrieren.
Der stampfende Rhythmus aus dem Getrappel von Pferdehufe.
Ein atemloser Junge stürmte auf den Marktplatz. Sein Blick war gehetzt.
"So viele!", keuchte er, "Es sind so viele! Sie haben Hunger, dürsten nach unserem Wasser. Sie werden kommen, es dauert nicht mehr lange dann sind sie hier!" Seine Stimme überschlug sich fast, man sah ihm an das er nur noch eins wollte: Fort!
"Wer? Wer kommt?" Luk fragte obwohl er die Antwort schon ahnte. "Die Kan-je."
"Du bringst uns deine elendige Sippe, du Hund!" In den wütenden Ruf stimmten immer mehr Menschen mit ein.
Doch der entsetzte Blick von Luk und Samra ließ sie verstummen. In ihren Augen sahen sie die selbe Angst die auch sie empfanden.
Zum ersten mal sahen sie sich die beiden genauer an.
Die Augen waren wie die ihren klar und blau. Da begriffen sie, dass dies keiner der Krieger war obwohl er zu ihnen gehörte, ein verlorenes Kind der Kan-je.
Selten kam es vor, dass die Krieger eins ihrer Kinder fortgaben, seit dem letzten von dem man gehört hatte, waren schon wieder Jahre vergangen.
Die meisten Kan-je waren gegen dieses Vorgehen, doch einige der Mütter und Väter wollten ihren Kindern ein Leben schenken, dass zu leben sich auch lohnte.
So kam es, dass es alle paar Jahre Kinder in den Dörfern gab, die das Aussehen der Krieger hatten aber keine waren, die Kinder des Feuers.

Das Blut gefror in ihren Adern, die kalte Angst umfing sie, kleine Eiskristalle schienen sie innerlich zu zerschneiden.
Nie hätte sie geglaubt vor etwas, das sie nicht einmal kannte, solche Furcht empfinden zu können.
Kan-je, ein Name der für sie inhaltslos gewesen war, hatte nun ein Gesicht, grimmig und entschlossen blickte es ihr aus der Ferne entgegen. Und es kam, unaufhaltsam.
Keine Zeit sich zu verstecken, keine Zeit sich kampfbereit zu machen.
Keine Zeit zu leben?
Dunkel war dieser Tag, obwohl die Sonne mit unbändiger Kraft vom Himmel schien, konnte sie Samra´s Geist nicht erhellen.
Sie sah zu Luk, doch statt mit Furcht war sein Gesicht von etwas anderem gezeichnet: Entschlossenheit - und eine tiefe Konzentration.
Sein Blick war starr auf das gerichtet, was auf den fliegenden Rücken der Pferde zu ihnen kam.
Eine Gefahr aus Fleisch und Blut - trotzdem so unfassbar, nicht bekämpfbar.
Was hatte er vor?

Die Kälte biss ihr mit den kleinen Zähnen ins Gesicht, ließ nicht von ihr ab.
Alles das kühler war als das Feuer Luk-Nin´s erschien ihr unangenehm kalt, ein weiterer Preis für das Leben an den Ufern des Iraah.
Èr ist hier!´, flüsterte der Wind in ihre horchenden Ohren, trieb sie damit immer weiter an. Schneller, er wartete.
Sie gab ihrem grauen Gaul die Sporen, drängte ihn zu einem eiligeren Schritt. Ihre Ungeduld anzukommen sprang auf das Tier über.
"Mekda, verdammt, nicht so schnell!", rief eine Stimme hinter ihr, doch es kümmerte sie nicht. Sie ritt nur noch schneller.
Wütende Rufe folgten ihr, erreichten sie jedoch nicht mehr.
Da stand er! Mitten auf dem Hauptplatz. Wie groß er war! Zu einem stattlichen jungen Mann herangewachsen.
Ihre scharfen Augen versuchten sein Gesicht zu entschlüsseln, sahen die Anstrengung und den eisernen Willen.
Plötzlich stand sie vor einer Wand aus Feuer, spürte die Flammen, wie sie an ihrem Gesicht leckten.
Das Pferd bockte, warf sie ab und schrie voller Schmerz..
Mekda´s Herz raste, sie rollte unter den wild tretenden Hufen hervor, wollte fort, doch die trampelnden Füße schienen überall durch die Luft zu wirbeln.
Sie fasste zu dem Dolch an ihrem Gürtel, er fühlte sich kühl an und flößte ihr Ruhe ein. Eine Chance, mehr hatte sie nicht.
Mit einem gellenden Schrei schnellte sie nach oben. Traf, traf gut. Mitten ins Herz. Nach einigen Sekunden, die nicht vergehen wollten, brach das Pferd tot zusammen. Starrte Mekda an, mit blinden Augen, zerfressen vom Feuer.
Was war geschehen? Sie verstand es nicht, woher die Flammen kamen, die undurchdringlich vor ihr aus dem Boden loderten.
Was war ihre Nahrung? Es gab nichts außer festgestampfter Erde.
`Magie!´, flüsterte es in ihrem Kopf,`Feuermagie der Kan-je`
Ihr Sohn?

Ihr Körper schmerzte, sie schien sich ihr Bein beim Sturz gebrochen zu haben. Es lag seltsam abgewinkelt von ihr gestreckt und pochte wie wild. Mekda spürte, wie sie von zwei ihrer Kampfesgefährten hochgehoben wurde. Sie hörte gebrüllte Befehle ihres Anführers, als sie fortgebracht wurde. Er rief die Feuermagier, welche eilig nach vor preschten. Sie ließen Flammen aus dem Boden züngeln, die sich in einem wilden Reigen mit der Feuerwand verbanden, sie nur noch stärkten.
Alle Bemühungen waren umsonst, von vornherein zu scheitern verurteilt. Man kann Feuer nicht mit selben besiegen.
Doch das war nun einmal das einzige was die Kan-je besaßen...

Schweißperlen rannen über sein Gesicht, tropften in seine Augen, sodass er nichts mehr sah. Aber er spürte. Spürte, wie seine Feuerwand stetig mit fremder Magie gefüttert wurde, ihre Macht zunahm. Der wilde Hunger nach Nahrung gewann an Kraft. Noch begnügte sie sich mit Luk´s Magie, doch schon bald würde diese verbraucht sein. Diese Narren! Sie entrissen ihm die Kontrolle!
`Hört auf!´, schrie sein Geist, der Körper hatte nicht mehr die Kraft dazu.
Er fühlte erneut ein fremdes Feuer, das sich mit dem seinen verband. Die Kontrolle entglitt ihm wie die Zügel eines wilden Pferdes. Er wollte noch nach ihnen greifen - und fiel. Fiel tief. Das Ross hatte ihn abgeworfen.
Schreie drangen an sein Ohr, ließen ihn erschaudern, es war plötzlich so kalt. Er wagte nicht aufzusehen, wollte nicht wissen, was geschah. Er brauchte nicht zu sehen, der Geruch verbrannten Fleisches ließ ihn mit aller Härte klar werden, was geschehen war. Seine Augen tränten, ob vom beißenden Rauch der in der Luft lag, oder vor Kummer. Er wusste es nicht. Tief in seinem Herzen hatte er die Ahnung, etwas verloren zu haben, das unersetzbar war. Voller Angst drehte er sich zu Samra um, dort stand sie, unversehrt, doch das Gefühl ließ sich nicht abschütteln.
Retten! Er musste versuchen wenigstens einige zu retten!
Ein letzte Aufbäumen seiner Magie warf sich wie ein Netz über die Flammen, nahm ihnen die Luft zum Atmen. Das Feuer starb seinen leisen Tod.
Zuvor hatte er nichts sehen wollen, nun konnte er es nicht. Rauch versperrte seinen Augen den Anblick. Rauch, der langsam gen Himmel zog. Sich dort sammelte, zu einer dichten, grauen Wolke. Der Wind trug sie fort, mitsammt der Asche der Krieger, in ihre Heimat, die Hügel Luk-Nin´s.
Die wenigen Kan-je die dort geblieben waren, würden noch lange von diesem Tag erzählen, als der Himmel Asche weinte. Asche und Wasser!
Seit fast dreißig Jahren wurde die durstige Erde Luk-Nin´s wieder mit Wasser gesegnet. Es rann über die Hügel hinab ins Tal, wo es das Rot aus den Fluten des Iraah wusch. Es war ein segensreicher Tag, der das Leben in dieses Land zurückbrachte.

Es war ein verfluchter Tag für denjenigen, der diesen "Segen" verantwortete. Nie wieder würde er vergessen können...
Als das Feuer ausging, erlosch mit ihm auch die Hoffnung. Die Flammen hatten das Fleisch von den Knochen der Krieger geleckt, die ausgezogen waren um durch Rauben ihr Leben zu sichern.
Blank lagen ihre Skelette in dem verbrannten Gras.
Ihr Tod hatte Erlösung gebracht - doch nicht für ihn.
Nie wieder würde er vergessen können...
Indem er Leben nahm, spendete er auch welches. Doch sein eigenes hatte er zerstört. Sein Leben lang würde er in den Träumen von diesem Tag heimgesucht werden, das letzte Feuerkind der Kan-je.

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